Salve! Oder doch buongiorno?

Ferien im Tessin sind schon eine ganz famose Sache! Jedermann weiss: Im Tessin, da scheint immer die Sonne, im Tessin, da werden Rotwein getrunken und Polenta gegessen, im Tessin, da sind die Menschen freundlich und die Tiere lecker, im Tessin, da grünen die Bäume und blühen die Blumen und sowieso ist im Tessin die Welt einfach in Ordnung, denn hier herrschen italianità und vino rosso!

Kein Wunder also, dass wir eine Woche im sonnigen Süden der Schweiz verbrachten. Und da ein altes Sprichwort uns lehrt, dass einer, so er denn eine Reise tue, von derselbigen auch etwas zu erzählen habe, wollten wir unsere zweifelsohne interessanten Erzählungen mittels Postkarten in der Welt verbreiten, schliesslich gebietet schon der Anstand – der mir bekanntermassen innewohnt -, Freunde, Bekannte und entfernte Verwandte über ferienhalber Erlebtes stets auf dem neuesten Informationsstand zu halten.

Postkarten hatten wir bereits Anfang Woche gekauft – nicht, dass das noch vergessen geht, neinnein, da sind wir organisiert, da denken wir dran, da überlassen wir nichts dem Zufall! Mit schreiben haperte es hingegen ein wenig, denn wie gesagt scheint im Tessin immer (immer!) die Sonne und es ist sommerlich warm (35°C+, auch im Spätherbst, schon klar!), und so kommt man vor lauter schwitzen gar nicht zum schreiben, denn wer bekäme denn schon gerne eine Postkarte mit Schweisstropfen zugeschickt, also ich jedenfalls bestimmt nicht, und so harren also immer noch die Karten ihrer zugedachten Tinte. Siedendheiss fiel mir dann heute Morgen auch noch ein, dass eine Reise mit der Post auch für ein nur wenige Gramm schweres Stück Karton nicht umsonst ist, und man – als Fahrkarte sozusagen – dieses mit einer Briefmarkte zu versehen hat, will man den zuverlässigen Transport sicherstellen. Da morgen die Heimreise dräut und heute Samstag ist, blieb keine andere Möglichkeit, als den Erwerb der benötigten francobolli noch heute zu bewerkstelligen. So quälte ich mich notgedrungen in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett, denn die Post schliesst samstags bereits um 11 Uhr (!), und machte mich auf den Weg zum ufficio postale, kaufte venti francobolli, per favore, graziearrivedercibuonadomenica, und stapfte den steilen Weg zurück zum Häuschen.

Auf dem Rückweg begegnete ich anderen Frühaufstehern, kein Mensch weiss, was die bereits um diese unchristliche Zeit aus den Federn getrieben haben mag! Trotzdem grüsste ich höflich, schliesslich wohnt mir – ich erwähne es gerne erneut – der Anstand inne, und sprach ein lupenreines «Buongiorno» (der regelmässige Leser dieses Blogs mag sich eventuell an mein lupenreines Italienisch erinnern, welches ich vor circa genau einem Jahr bereits einmal thematisiert hatte). Im Gegensatz zu damals wurden mir aber keine widerlichen Brocken züritüüscher Mundart entgegengeschleudert, sondern einmal ein buongiorno, einmal ein ciao und einmal ein salve.

Oooh! «Salve»! Wie ein alter Römer kommt man sich vor, wie Caesar höchstpersönlich, wenn man mit salve seine Mitmenschen begrüsst! Fest nahm ich mir vor, meinen nächsten Grusspartner mit einem innigen salve! zu beglücken und begann bereits mit aufwärmenden Zungenübungen, damit es mir dann auch leichter von den Lippen rollen würde. Bereits vernahm ich hinter der nächsten Ecke der verwinkelten Gassen näherkommende Schritte und mein Puls schoss in froher Erwartung um mindestens das anderthalbfache in die Höhe, die Hände wurden feucht und zittrig und der Mund trocken – ideale Voraussetzungen für einen lateinischen Gruss, der sich gewaschen hatte! Ich setzte an, tief Luft zu holen, um dem unbekannten Entgegenkömmling eine Salve salve! entgegenzuschmettern, da bog dieser um die Ecke und entpuppte sich als älterer, vornehmer Herr mit eingegipstem Arm, dem ich unmöglich mit einem ordinären salve begegnen konnte, weswegen ich halt ein verlegenes buongiorno brösmelte und wie ein geprügelter Hund weiterzottelte.

Es ist wirklich ein Kreuz mit der fremden Sprache.

Und zum Schluss noch dies: Letzte Nacht hat es geschneit. Hier. Im Tessin. Die Welt ist aus den Fugen.

Das Kreuz mit der fremden Sprache

Wie frustrierend das mit den Fremdsprachen doch sein kann! Da stehe ich also in Locarno beim Lido am Glacestand und will mir ein Eiscrème kaufen. Ein Cornet mit zwei Geschmäckern, Tiramisù und Haselnuss, im Idiom der indigenen Bevölkerung Nocciola genannt.

Wenn ich gedenke, in einem Laden in einer mir fremden Sprache einen Einkauf zu tätigen, dann überlege ich mir stets im Voraus meine Wortwahl sehr genau: Ich drehe und wende den Satz im Gehirn hin und her, durchforste meinen Wortschatz nach der passenden Formulierung und komme so schlussendlich zum Satz, der mein Begehr optimal beschreibt.

Im konkreten Fall hörte sich das so an, als ich an die Reihe kam:

Buongiorno, mia cara signora, ho volia di mangiare un gelato. Per questo sono venuto da Lei per comprare il miglior gelato del mondo. Infatti, prendo un cono con due palline; una tiramisù e una nocciola, per favore.

Offensichtlich wohnt mir sogar im Italienischen die Eloquenz inne, ganz zu schweigen von meinem originalgetreuen Akzent, der mich als waschechten Italiener qualifiziert. Umso enttäuschter war ich dann, als mich die Signora nach der ersten Kugel fragte (und ich zitiere wörtlich):

Was händ si als zwäiti Chugle welle?

Ma che casino! Wieso spricht die jetzt plötzlich lupenreines Züritüütsch mit mir? Habe ich sie etwa nicht eloquent genug angesprochen? Hätte ich stottern sollen: «Eh, tschau, io tschelati? Tiramissu, notschiohla, grahzie.» Wäre das besser gewesen? Ich ziehe jedenfalls meine Lehren daraus: Eisverkäuferinnen am Lido in Locarno verdienen meine Eloquenz nicht.

Und zum Schluss noch dies: Wer zu Beginn monieren wollte, ein indigenes Volk sei per definitionem marginalisiert, der mag jetzt wohl anerkennen, dass offensichtlich die italienisch-sprachige Bevölkerung von den Deutschschweizern arg in Bedrängis gebracht ist.

Eine erstklassige Reise

Der Entschluss, mal einen Abstecher in den sonnigen Süden der Schweiz zu machen, kann auch nicht durch Wasserpfeifenkonsum bis drei Uhr und Züpfenteigkneten bis halb vier Uhr morgens umgestossen werden, höchstens verzögert, und so machte ich mich halt gestern erst um neun Uhr auf die Socken, und weil der Zug erst um 10:02 abfuhr, startete ich erst mal mit einem Milchkäfeli im Tibits. Und just hier war es, als mir der süttigheisse Schreck in die Glieder fuhr: Ich hatte die gebackene Züpfe abzulichten vergessen! Eine beispiellose Serie von auf Facebook veröffentlichten Sonntagmorgenbildern drohte abrupt abzureissen! Jedoch — die Vorsehung meinte es gut mit mir, hatte ich mir doch für die weite Reise ins ferne Südenland praktischerweise mein eigenes Privatzüpfli fabriziert, was nun die Serie weiterleben lassen wird. Gottseidank, was für ein Verlust wäre das für die Menschheit gewesen, Leser, Leserin!

Im Zug dann die Überraschung: Ganz so bequem, wie man sich das immer vorstellt, mit der eigenen Vorzimmerdame und türkischem Dampfbad, ist es gar nicht in der ersten Klasse unserer Schweizerischen Bundesbahnen! Lediglich sind die Sitze ein wenig breiter, und immerhin kann man sich dekadent in den Sitzen fläzen, ohne die Beine unangenehm anwinkeln zu müssen, der ungeheuren Beinfreiheit sei Dank. So verlief die Reise im grossen und ganzen angenehm, und bereits in Olten merkte ich: Es geht gen Süden. Denn hier lag schon kein Schnee mehr.

In Zürich stieg ich um auf den Cisalpino, schnappte mir ein Viererabteil und liess mich bis nach Lugano schaukeln. Daneben sass im Zweierabteil ein älterer Herr, was nicht untypisch ist, trifft man doch vornehmlich ältere, tendenziell etwas korpulente, durchwegs aber allem Anschein nach eher gutsituierte Personen mit leicht abschätzigen Gesichtsausdrücken in der ersten Klasse. Ich bildete da die lobenswerte Ausnahme, aber wenden wir uns wieder meinem Abteilnachbar zu.

Er bestellte beim Essenswägelimann ein Käsesandwich und ein Bier. Beim nächsten Besuch des Wägelimanns erkundigte er sich nach Rotwein. Leider gab es nur Weissen, ob er einen solchen wolle? «Nei, entweder wotti Rote oder gar kene, wüu i cha mis Bier nid uftue!» antwortete er. Da wagte ich es, schnell nach Links zu schauem, um einen Blick auf sein wahnsinnig kompliziertes Bier zu erhaschen. Ich gewahrte eine handelsübliche Heineken-Dose, die der Wägelimann denn auch in Nullkommanichts für den unbedarften Kunden geöffnet hatte. Nun …

Ein wenig später, selber Zug, selbes Abteil, aber halt eben ein wenig später, da torkelte gerade eine ältere Frau, auch sie fügte sich nahtlos in die Umgebung ein, durch den Flur, denn der Zug machte von seinem Neigemechanismus zu diesem Zeitpunkt ausgiebigen Gebrauch. Nachdem sie meinem bierunvermögenden Abteilnachbar beinahe auf den Schoss geplumpst wäre, begann sie ein kurzes Gespräch mit ihm: «Ich nimm immer de Zug wänn ich is Tessin fahr. Das isch ganz en guete Zug, de ghöört ja jetze de SBB, die hend en de Italiänner abkäuft, nöd dass die de äno kaputt mached!»

Ich konnte dem Zusammenhang zwischen «Italienern» und «auch noch kaputtmachen» nicht ganz folgen, und sah mich bereits zum zweiten Mal an diesem Tag gezwungen, mir in Gedanken an den Kopf zu langen. Nun …

Die Ankunft in Lugano erwies sich als erstaunlich warm! Ich wurde empfangen von frühlingshaftem Wetter und ebensolchen Temperaturen. Leider war meine Zeit ziemlich knapp bemessen, so dass es bloss für einen kurzen Spaziergang an den See und einen Espresso an demselbigen reichte, bevor ich mich schon wieder aufmachen musste, die Wolken und den Nebel der Deutschweiz unsicher zu machen.

Von der Rückreise gibt es kaum etwas zu berichten, ausser, dass ich via Luzern nicht direkt nach Bern gelangte, sondern einen Abstecher nach Sumiswald machte, wo die Nobodies ihr zweites Adventskonzert bestritten. Und so kehrte ich schliesslich spät am Abend wieder nach Hause zurück, und wer weiss, vielleicht verschlägt es mich das nächste Mal in den Westen.