Quasi eine Taufe auf dem Velo

Ja, so könnte man es wohl nennen. Denn es war die erste Taufe, an die ich mich so aus dem hellterheien Nichts erinnern kann, und (fast) auf dem Velo hat sie auch stattgefunden. Und das kam so:

Mein Mitpfarrer in spe und Bewohner hatte heute, wie es sich für einen rechten Sonntag geziemt, Gottesdienst. Inklusive Taufe, wie sich herausstellen sollte, und inklusive Flamencotanz, wie ich bereits im Voraus gewusst hatte. Und einen Flamencotanz an einem Gottesdienst lasse ich mir nicht entgehen, zumal mir Flamenco derart Fremd ist wienumenöppis, und ich mich, wie der geneigte Leser weiss, stets gerne weiterbilde.

Der Plan war also einfach: Um halbzehn in Bätterkinden in der Kirche sitzen und gottesgedient werden.

Erschwerend hinzu gesellte sich die grosse Lust, den Besuch mit einem Veloausflug zu komibineren, aber was nimmt man nicht alles für Strapazen auf sich, um brandneue Regenbekleidung und brandneue Velokarten und ziemlich neue Fahrräder und ebenfalls ziemlich neue Velotaschen einzufahren, nidwahr, und so läutete der Wecker um sechs, so dass um sieben Uhr abgefahren werden konnte, denn wärweiss, wie lange man auf dieses Bätterkinden radeln muss!

Etwa eine Stunde und zwanzig Minuten, so lange. Und was macht man dann noch eine Stunde lang, wenn alle Beizen geschlossen haben, in einer Metropole wie Bätterkinden? Am Bahnhof im Wartesaal picknicken und im Kiosk nebendran einen Kaffee trinken.

Zur Missa Flamenca will ich nichts sagen, denn da bin ich nicht qualifiziert. Ausser vielleicht, dass es mir primamissima gefallen hat.

Zwei Stunden und ein Apéröli später stellte sich die Frage: Hei oder witer? Weiter lautete die Devise, und was dabei rauskam, mögest du hier ersehen:

Knapp 70 Kilometer von Bern nach Bern

Und dann, kurz nach Buchstabe F, ist es passiert: Ein «Ffft-ffft-ffft»-Geräusch brachte mich dazu, zu verlangsamen und mir meinen Vorderreifen mal genauer anzusehen, und tatsächlich: Er leckte. Und zwar nicht mit der Zunge an etwas Süssem, sondern Luft aus einem Loch. Glücklicherweise hatte ich Flickzeug dabei, und auch eine Pumpe war da (nein, nicht ich auf dem Velo bin gemeint! Eine Fahrradpumpe!), so dass nach einer Viertelstunde der Schaden einigermassen behoben war. Mal abgesehen davon, dass seither die Vorderbremse stets ein wenig zieht, ein Mangel, der sich morgen der Herr Velokrea wohl oder übel mal anschauen muss.

Zehn Stunden und knapp 70 Kilometer nach dem Start waren das Ziel (=Start) erreicht, der Arsch wund und die Beine sauer. So viel zur ersten Rundreise. Es werden folgen deren mehr.

Auf ein Weiteres!

Mein IBEX

Es ist an der Zeit, der Welt einen wahrhaftigen Meilenstein in meinem Leben kundzutun.

Wer mich ein wenig kennt – es braucht nicht einmal profunde Kenntnis meines Lebenswandels, oberflächliche Bekanntschaft reicht eigentlich schon völlig aus – der oder die weiss: Meine Fahrräder, die besorge ich mir an der Velobörse. Schon manch ein fahrbarer Zweiraduntersatz, den für wenig Geld ich dort erstand, hat mir lange treue Dienste geleistet. Mein aktuelles Velo, das wohl allseits bekannte blaue Cilo-Damenvelo mit unheilbar zertrümmertem Körbli auf dem Gepäckträger, besitze ich nun schon seit zwei Jahren, drei Monaten und acht Tagen.

Zweieinviertel Jahre sind eine lange Zeit, insbesondere, wenn das Velo fast ständig den Unbillen des wankelmütigen Schweizer Klimas ausgesetzt ist, als da wären strömender Regen und brütende Sonnenhitze, und es nebenbei etliche Kilometer abzuspulen hat, mit einem wohlbeleibten Fahrgast wie mir obendrauf. Kein Wunder also, dass es zu leiden begonnen hat. Vor allem den Bremsen würde ich nachts und bei Regen nicht mehr über den Weg trauen, ich glaube gar, die würden sogar die eigene Grossmutter verkaufen, um im ungeeignetsten Moment versagen und mich in eine Wand rasseln lassen zu können.

Du siehst, worauf dies hier hinausläuft: Es war Zeit für einen Wechsel, Zeit, den müden Spieler vom Feld zu nehmen und durch einen fitten, jungen, wilden zu ersetzen. Also ging ich letzten Samstag auf die Pirsch.

Und ich wurde fündig. Ein Vorführmodell der Marke IBEX bei VeloKrea hat es mir dergestalt angetan, dass ich mich entschieden habe, es zu kaufen. Das Aussehen ist formidabel, ebenso die Ausstattung, und nun brause ich mit höchster Geschwindigkeit, ach, was sage ich!, mit wahnsinniger Geschwindigkeit durch die Gegend. Heute schaffte ich es in einer guten Viertelstunde nach Worblaufen, und wenn man meine Konstitution in Betracht zieht, so ist das eine Leistung, die sogar den Alex Zülle und den Oscar Camenzind vor Neid täte erblassen lassen, zumal ich Doping-frei unterwegs war (abgesehen von einem nahrhaften Schabzigerbrötli zum Zmorge. Mjam!).

Ich kann dir sogar ein Foto bieten! Leider nur eine schräge Rückansicht, aber immerhin. Siehe hier:

Mein neues Velo, Marke IBEX, Modell Around The Clock

Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Ein Bild könne ja, so sagt, wie der gebildete Bürger eventuell weiss, der Volksmund, mehr als tausend Worte aussagen.

Zu sagen gibt’s lediglich noch dies: Ich bin froh, sehr froh, nicht mehr in der Militärmusik dienen zu müssen. Denn wie sagte der designierte neue Chef der Militärmusik, Oberst Diener, sinngemäss, als er uns besuchte? «Damit d Militärmusig erfolgriich isch, müend er eifach spile, was d Lüüt wend ghöre. Also au meh volkstümlichi Sache, settig Arrangements git’s ja au! Also, s wichtigscht isch: Eifach spile, was d Lüt wend ghöre». Prost Nägeli!

Bericht aus dem Mittendrin

Das Westside ist eröffnet, und bei dem schönen Wetter packte ich die günstige Gelegenheit, da mal einen Blick von innen draufzuwerfen. Der Besuch begann damit, dass ich, von Natur aus überall ortsunkundig, irgendwo eine falsche Abzweigung erwischt haben muss, und mich unverhofft inmitten hoher Wohnblöcke wiederfand, deren Perimeter zu verlassen sich mit dem Velo zwar schwierig, aber trotz allem nicht unmöglich gestaltete, so dass ich schliesslich wohlbehalten an jenem Platz eintraf, den man, wie ich vermute, den «Gilberte-de-Courgenay-Platz» zu nennen pflegt.

Mein erfreutes Auge erblickte, nicht ohne einiges Suchen, einen Veloabstellplatz. Aber – oh je! – ich begriff ihn nicht! Bestimmt fünf Minuten lang kämpfte ich mit dem Funktionsprinzip dieser hochtechnisierten Einrichtung, bis ich herausfand, dass Fahrräder in diesem Ding nur von der einen Seite eingestellt werden können. Ich fuhr also rundherum, und war nun im Stande, mein Velociped ohne weitere Umstände artgerecht anzupflocken. Ein gar kleiner Abstellplatz ist es zudem noch, der dort den Velofahrern eingeräumt wird. Mögest du ihn hier bestaunen:

Veloständer beim neuen Westside-Zentrum

Nun, da ich mein Velo untergebracht hatte, tauchte ich ein ins Vergnügen. Mein erster Eindruck: «Wo ist denn hier der Eingang?» So ein neues Einkaufszentrum (und Spa und Hotel und Freizeit und Vergnügen und Bahnhof und was-weiss-ich-noch-alles) ist ja schön und gut, aber der Architekt muss ja ein ziemlicher Armleuchter sein, wenn er den Eingang vergisst! Ich irrte kurz umher, und wurde bald einmal belohnt: Dort, wo die Menschenmassen hinein- und herausströmten, das musste wohl der Eingang sein! Ich strömte also dort ein.

Nun nochmal: Mein erster Eindruck: «Laut ist es hierinnen!» Dem Kuno Lauener sein Blatt im Wind wurde regelrecht aus meinem iPod davongeweht, so dröhnten und lärmten all die Menschen um mich herum, und ich musste Züri West noch einige Dezibel mehr spendieren, wenn ich etwas von ihnen mitbekommen wollte. Musikalisch derart ausgerüstet machte ich mich auf die Pirsch und schlich ein wenig durch dieses Konsumparadies. Aufgefallen sind mir als Erstes diese Wegweiser, die dem Besucher das Ziel seiner Wünsche weisen sollen. «Erlebnisbad & Spa» las ich da etwa, und «Cinémas». Und dann: «Food Court». Wiebitte, was?

Wegweiser im Westside

Was, bitteschön, ist ein «Food Court»? Ein Gerichtssaal für Esswaren etwa? Ich wurde nicht schlau daraus, und folgte den Wegweisern. So irrte ich durch eine moderne Welt aus Glas und hellem Stein, und stand unvermittelt vor der Migros. Ich sagte mir, wenn ich schon im neuesten teuersten besten Konsumtempel der Schweiz bin, muss ich auch etwas kaufen! Ich kaufte ein Zahnbürstli.

Weiter ging’s, und endlich kam ich bei diesem sagenhaften Food Court an, der sich schlicht als Ansammlung von Essständen herausstellte, und da ich in diesem Moment nicht hungrig war (ja, das gibt’s!), flanierte ich weiter.

Einen Stock tiefer befinden sich die Kinosäle, und gleich davor ein Autohaus mit zwei, drei Ferraris und einigen Maseratis in der Präsentationshalle. Ein Angestellter in noblem Anzug war emsig damit beschäftigt, den einen Maserati mit einem Lappen auf Hochglanz zu polieren, derweil sich eine aufgebretzelte und stark geschminkte Angestellte mit einem überdimensionalen Staubwedel über die gläsernen Vitrinen hermachte. Ein drolliger Anblick.

Aber eben, die Kinosäle. Wie’s scheint zeigen die dort hunderte von Filmen, so kam es mir jedenfalls vor, und damit sich der Besucher besser orientieren kann, stehen Säulen mit Kreditkartenschlitzen und Touchscreen umenand, wo man sich wahrscheinlich das Billett gleich selber kaufen kann. «Bitte Karte einführen oder Bildschirm berühren» strahlte mir so ein Touchscreen entgegen, und da ich gerade keine Karte dabei hatte, die Lust verspürte, eingeführt zu werden, berührte ich den Bildschirm.

Nichts geschah. Ich tippte noch einmal drauf. Nichts geschah. Etwas vehementer tippte ich abermals. Nichts geschah. Ich tippte nun viele Male hintereinander. Nichts geschah. Jetzt nahm ich beide Hände zu Hilfe, um eine Tipptirade sondergleichen auf den mich immer noch höhnisch anstrahlenden Bildschirm loszulassen, und klopfte den schönsten Paradiddle meines Lebens. Nichts geschah. Da wurde es mir zu bunt, und mit der ganzen Handfläche schlug ich (sachte, versteht sich) auf den Bildschirm ein. Da! Der Schriftzug verschwand, und ich sah mich mit Film- und Platzauswahl konfrontiert, die ich nun aber abbrach, da es ja nicht meinem Ziel entsprach, einen Kinofilm anzuschauen.

Im Übrigen verriet mir ein Blick auf die Freie-Plätze-Bildschirme, dass für jeden Film noch zwischen 150 und 200 Billette zu haben waren.

Nun denn! So ein Ausflug macht müde, und so trat ich die Suche nach dem Ausgang an. Zwar hatte ich immer noch Musik im Ohr, aber nicht derart laut, dass ich nichts mehr von meiner Umwelt wahrgenommen hätte. Und so wurde ich Zeuge davon, wie ein junger Mann zu einer jungen Frau, die sich soeben getroffen hatten, sagte: «… ewig nümme gseh! Du hesch di ja huere veränderet, Mann!» Wäre ich die Frau gewesen, ich hätte ihm so eine geklebt, dass er bis hinter den Horizont gekullert wäre. Es kann für eine Frau schliesslich kaum als Kompliment durchgehen, wenn das Gegenüber verkündet, sie habe sich verändert, und sie zu allem Überfluss noch für einen Mann hält.

Ist gerade ein bisschen lang geraten, dieser Beitrag. Lassen wir es dabei bewenden, und widmen uns dem Znacht. E Guete.