Wer des Genitivs Genick bricht

Ich kann es nun mit Gewissheit sagen: Es ist die schulische Ausbildung – präziser: die Ermangelung ebenjener – welche dem Genitiv das Genick bricht, oder, um sich gleich seiner zu bedienen: des Genitivs Genick bricht. Wie ich auf diese gewagte These komme? Ganz einfach: mittels Beweis. Siehe, welch trauriges Exemplar eines Arbeitsblattes der mittlere Spross der Familie nach Hause brachte:

Man kann nun argumentieren, dass mit «eines» ein lupenreiner Genitiv eingeleitet werde. Daran habe ich auch gar nichts auszusetzen. Dass aber dann ein ebenso lupenreines Deppen Leer Zeichen die ganze Überschrift zu einer Lachnummer verkommen lässt, ich nicht mehr abzustreiten. Für mich ist es sogar eher eine Weinnummer denn eine Lachnummer, und ich spreche hier natürlich nicht von Cabernet-Sauvignon, Shiraz oder Bordeaux, sondern von den bitteren Tränen eines zutiefst vergrämten Anhängers korrekter Grammatik.

«eines Ernährung Kreises» wird einem unbedarften Erstklässler im Kanton Bern allen Ernstes zugemutet? Wie soll das arme Kind denn jemals richtiges Deutsch lernen? Ich schüttele den Kopf, und dies nur, weil es mich am ganzen Körper schüttelt. Naja. Dann muss der arme Bub halt von seinem Vater erfahren, wie man richtig schriebe.

Soll ich, oder doch eher nicht? Ein moralisches Dilemma.

Ich habe Post erhalten. Ein Brief mit der Einladung zur Teilnahme an einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds› zum Thema Nachbarschaft in der Schweiz. Obwohl ich wissenschaftlichen Studien gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen bin, so zögere ich doch, hier mitzumachen. Und dies aus einem– nein: zwei ganz bestimmten Gründen.

Doch zuerst sollst du dir das Schriftstück zu Gemüte führen können:

Fällt dir dasselbe auf, wie mir? Wollen wir doch mal schauen.

Erstens scheint der Brief sehr, sehr, seeehr lange gebraucht zu haben, um den Weg vom Institut für Soziologie (Fabrikstrasse 8, 3012 Bern) zu mir zu finden. Über ein Jahr nämlich, wenn man dem Datum oben links Glauben schenken darf: 23.02.2022. Ist diese Umfrage überhaupt noch aktuell, jetzt, im Jahre 2023?

Und selbst, wenn sie es ist, dann gibt es da noch diesen zweiten, in meinen Augen viel kritischeren Punkt. Es stellt sich mir nämlich die Frage, ob ich mich in eine Sache hineinziehen lassen will, bei der ganz offensichtlich Menschenleben vernichtet werden. Denn, lies (und lies genau):

Ihre Kontaktdaten haben wir durch Ihre Einwohnergemeinde erhalten und werden nach der Umfrage vernichtet.

Christoph Zangger und Forschungsteam im Brief vom 23.02.2022

Du verstehst nicht, was ich meine? Gut, spielen wir das gute alte Subjekt-Prädikat-Objekt-Spielchen:

  • «Ihre Kontaktdaten» – Objekt (wen haben wir erhalten?)
  • «haben wir (…) erhalten» – Subjekt (wer hat die Daten erhalten?)
  • «und werden (…) vernichtet.» – Relativsatz, der sich auf das Subjekt im Hauptsatz bezieht.

Wir lesen es also schwarz auf weiss: Nach der Umfrage wird das Forschungsteam vernichtet. Das tut mir leid um die garantiert sehr motivierten und talentierten jungen Frauen und Männer! Und eine sehr wichtige Frage bleibt dabei unbeantwortet: Was geschieht mit meinen Daten, wenn die Umfrage vorüber ist?!

Ach, ein Dilemma. Aber ich fürchte, ich werde das Risiko eingehen, und allen Bedenken zum Trotz an der Umfrage teilnehmen. Schliesslich befand sich im Couvert nebst dem Brief – als Vorschuss quasi – eine Tafel Schokolade. Und damit kann man mich immer ködern. Ich bin einfach gestrickt.

Das volle Kulturprogramm

Das volle Kulturprogramm, die geballte Ladung an einem einzigen Abend gönnte ich mir heute. Kinematographische Unterhaltung sowie musikalisches Kulturschaffen, beides passiv-konsumatorisch auf die Genussrezeptoren einwirkend, wirken Wunder, auch wenn keine Wunder vonnöten sind.

Heiteren Gemüts erträgt man sogar feuchten Schneefall, wie man ihn sich auch im hohen Norden, beispielsweise Chez les ch’tis, vorstellen könnte, und mit Swing à la SJO kommt sowieso subtropische Wärme im Herzen auf. Dass sich mit unglaublicher Geschwindigkeit der nächste Arbeitstag ankündet, vermag die Stimmung auch nicht zu trüben, denn wenn alles im grünen Bereich ist, hat man im Büro zuweilen sogar etwas zu lachen. Nun, nicht, dass jemals nicht alles im grünen Bereich gewesen wäre.

Ich darf bei dieser Gelegenheit gleich eine kleine Anekdote in den Text einflechten, die sich zwar nicht chronologisch, dafür aber thematisch nahtlos in die Umgebung einfügt, und zwar dann, wenn wir uns als Umgebung ein Schneegestöber vorstellen.

So stöberte also der Schnee um der Menschen Köpfe, und infolgedessen hatten Trams und Busse etwas zu husten. Konsequenterweise meldeten die Anzeigetafeln an den Bernmobilbusundtramhaltestellen auch die dräuenden Verspätungen der öffentlichen Bernmobilverkehrsmittel. Ich bin in der exklusiven Lage, den Originaltext im Originalton wiederzugeben, der da lautet:

Infolge prekären Strassenverhältnissen sind Verspätungen möglich.

Liebe Bernmobiltexterundtexterinnen! Bitte, bitte, erbarmt euch dem Dativ und missbraucht ihn nicht anstelle dem Genitiv!